Die Oldtimersammlung von Volkswagen Nutzfahrzeuge in Hannover ist um einen seltenen Fund reicher: den ersten Bulli, der als Radarblitzer zu Schulungszwecken der Polizei in Niedersachsen im Einsatz war. Das Radar-Messprinzip des 66 Jahre alten T1 ist noch heute im Einsatz.
Über 54 Jahre stand der mobile Radarblitzer weitgehend unbeachtet in Scheunen und Garagen. Das Fahrzeug (Bj. 1953, Tachostand: 65.144 km, 18 kW/25 PS, damaliger Neupreis 6.750 DM) wurde von der Polizei-Beschaffungsstelle Niedersachsen erworben.
Nach seinem Einsatz für die Polizei Hannover wurden von 1961 bis 1964 damit Polizisten für den Umgang mit mobilen Radarmessungen geschult. Polizei-Mitarbeiter der „Ausbildungsstelle für Technik und Verkehr“ installierten in das Heck des blauen Fahrzeuges ein Blitzgerät, das mit einer Verschlussklappe getarnt war. Die Radaranlage selbst war im Innenraum untergebracht. Hier werteten Beamte an einem kleinen Schreibtisch die ermittelten Daten aus.
Erste offizielle Radarmessung vor 60 Jahren
Bis zur Einführung der Radarmessung in Deutschland vor 60 Jahren wurden Geschwindigkeitsübertretungen noch mit Stoppuhren ermittelt. Die erste offizielle Radarmessung fand am 15. Februar 1959 in Nordrhein-Westfalen an einem Straßenabschnitt zwischen Düsseldorf und Ratingen statt. Heinz Scholze (89), damals Polizeihauptwachtmeister, war Teilnehmer des „2. Radarlehrgangs“ 1961 in Niedersachsen: „Das war absolutes Neuland – für die Verkehrsteilnehmer und für uns. Wir hatten mit dieser neuen Technik ja überhaupt keine Erfahrung. Deshalb wurden wir mehrere Wochen geschult.“
Für Einbau und Wartung der Telefunken-Anlage Typ VRG2-Verkehrsradargerät war damals Polizeihauptmeister Dieter Dell (79) verantwortlich: „Das war technisch ziemlich aufwendig, alles in dem Bulli unterzubringen und zu verkabeln. Das Blitzgerät im Heck tarnten wir durch eine Klappe in Wagenfarbe.“ Nach dem damaligen Radar-Messprinzip werden zum Teil noch heute Temposünder ermittelt.
Der Weg des Bullis bis zur Oldtimersammlung von VWN
1964 meldete die Polizei den Bulli ab, er ging in Privatbesitz über. Der Blitzer-Bulli landete in Garagen und Scheunen. Der letzte Eigentümer, ein Kfz-Meister aus Hannover, stellte ihn in seine Garage im Stadtteil Badenstedt. Das Fahrzeug stand hier zwar vor Witterungseinflüssen geschützt – blieb aber jahrelang weitgehend unbeachtet. Aus Zeitmangel fand eine geplante Restaurierung nie statt, und so landete das Fahrzeug bei Volkswagen Nutzfahrzeuge Oldtimer (VWNO) im nahegelegenen Stadtteil Hannover-Limmer. Die Fahrzeug-Experten ließen das Fundstück überwiegend im Originalzustand, ergänzten es um fehlende, zeitgenössische Ausstattungsdetails (z. B. Mobiliar).
Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt Braunschweig, die übrigens am 2. Dezember 1958 die Radar-Messtechnik freigab, hat sogar noch die passende Radaranlage im Bestand. Tobias Twele (Projektleiter VWNO): „Es ist eine große Freude, diesen seltenen Bulli nun in unserer Sammlung zu haben und ihn auch der Öffentlichkeit vorzustellen. Dieser Transporter der ersten Generation beeindruckt mit seiner besonderen Geschichte und seinem authentischen Zustand.“ Und mit echter Bulli-Qualität: Denn trotz 54-jähriger Standzeit sprang der Motor – nach dem Einbau einer neuen Starterbatterie und einem Motorölwechsel – sofort wieder an.
Heinz Scholze: „Der Blitzer-Bulli war mein zweites Zuhause“
Der Zeitzeuge, Polizeihauptwachtmeister Heinz Scholze (89), hat „seinen“ Bulli nach 54 Jahren bei Volkswagen Nutzfahrzeuge Oldtimer (VWNO) in Hannover-Limmer wieder getroffen.
Ex-Schutzmann Scholze zieht sich den alten, blauen Polizeimantel über, setzt sich hinten in den Oldtimer auf einen Holzstuhl. Der rüstige Pensionär dreht an Reglern des eingebauten Verkehrsradargeräts Telefunken VRG2, tippt auf die Schalter und scherzt: „Gebt mir 15 Minuten. Dann bin ich wieder voll drin! Dann kann es von mir aus wieder losgehen.“
Los ging’s das erste Mal für ihn im August 1961 als Teilnehmer des 2. Radarlehrgangs in Niedersachsen. Scholze war damit einer der ersten, die mit der neuen Messanlage VRG2 Temposünder geblitzt haben. Mobil, aus einem Bulli heraus.
Jetzt sitzt Ex-Schutzmann Scholze im T1 und guckt sich um: „Der Bulli war mein zweites Zuhause. Hier habe ich über Stunden ganz allein auf dem Holzstuhl am Radarmessgerät gesessen und aufgepasst, ob mir ein Raser ins Netz geht. Die waren dann völlig baff, wenn es aus dem Bulli-Heck plötzlich blitzte. Das war ja für alle völliges Neuland – für uns und für die Autofahrer.“ Denn vorher wurden Geschwindigkeitsübertretungen noch per Stoppuhr ermittelt!
Gelegentlich wurden die Ergebnisse aber angezweifelt. Und so musste Scholze schon mal vor Gericht als Zeuge aussagen. „Aber ich war mittlerweile selbst so ‚geeicht‘, dass ich schon mit bloßem Auge sehen konnte, wie schnell ein Autofahrer unterwegs war. Davon hat sich sogar ein Richter vor Ort überzeugt – der war vielleicht überrascht.“
Scholze gesteht: „Ja, einer von diesen Blitzer-Fällen war ich auch. Ich kam mit einem Kollegen von einem Lehrgang in Berlin. Wir quatschten so schön im Auto, lachten – und schwupps hatte ich das Ortsschild übersehen. 83 Sachen statt 50. Bedeutete vier Wochen Fußgängerdasein und Bußgeld.“
Scholzes früherer Kollege aus NRW und jetziger Vorsitzender des Deutschen Polizeimuseums, Felix Hoffmann, ist ebenfalls zum „Oldtimertreffen“ zu VWN gekommen: „Es gab unglaublich kuriose Fälle. Einen Temposünder erwischten wir mal auf seinem Weg zur Preisverleihung Kavalier der Straße.“
Die Blitzer-Anlage könnte noch heute eingesetzt werden: Nach demselben Radar-Messprinzip werden auch derzeit Temposünder ermittelt. Dr. Frank Märtens, Physikalisch Technische Bundesanstalt, Leitung Fachbereich Geschwindigkeit, erklärt dazu: „Diese Messanlage VRG2 ist wie ein alter Rotwein. Sie ist aus unerklärlichen Gründen mit den Jahren sogar noch besser geworden. Das haben aktuelle Vergleichstests eindeutig ergeben. Sie misst auch heute noch sehr genau, ihre Fehlerquote hat eine maximale Abweichung von drei km/h, liegt damit im absoluten Toleranzbereich.“
Genauso wie die Blitzer-Technik heute noch eingesetzt wird, könnte auch der Bulli wieder auf die Straße: „Nach 54 Jahren Standzeit mussten wir nur Öl und Zündkerzen wechseln sowie eine neue Batterie einbauen“, schwärmt Tobias Twele, Projektleiter bei VWNO, der den Transporter entdeckte. „Der Wagen hat kaum Rost im Unterboden und an tragenden Teilen. Der is‘ noch richtig gut in Schuss!“ Die Oldtimer-Experten wollen ihn im authentischen Zustand belassen. Sogar den Originalstaub aus den Jahrzehnten auf dem Dach und in der Regenrinne hütet Twele wie einen Schatz. „Der muss unbedingt bleiben, der gehört zu diesem Bulli dazu.“
Die Polizei bleibt der T-Baureihe treu: Allein in Hannover sind derzeit 159 VW-Busse im Einsatz, der älteste ist ein T4, Baujahr 1998. Läuft also für den Bulli – auch nach Jahrzehnten. Nur Ex-Polizist Scholze (seit 65 Jahren verheiratet, 2 Töchter, 3 Enkel, 1 Urenkel) wäre nicht mehr mit von der Partie. Der gebürtige Oberlausitzer: „Damals waren wir noch Respektspersonen. Da grüßte uns jeder, wenn wir im Streifenwagen vorbeifuhren. Heute wirst du als Ordnungshüter nicht mehr so geachtet. Und dann die ganze neue Technik. Nee, nee, das is‘ dann wohl doch nix mehr für mich“, sagt er etwas wehmütig. Dann zieht der sonst so freudestrahlendende Pensionär den blauen Mantel von damals wieder aus, legt ihn auf den Fahrersitz des alten Transporters. Beim Weggehen dreht er sich nochmal um. „Mach’s gut, Bulli.“