Recruiting: Wie man die besten Talente gewinnt

Mit gewöhnlichen Recruiting-Methoden kann man keine außergewöhnlichen Kandidaten finden. Wer sich die besten Talente sichern will, der muss eine gute Candidate Journey entwickeln.

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Wer als Bewerber mit Unternehmen interagiert, ärgert sich über vieles: die mangelnde Nutzerfreundlichkeit einer Website, das nicht mobiloptimierte Bewerbungsformular, altertümliche Stellenbeschreibungen, geschönte Fakten, endlose Reaktionszeiten, standardisierte Interviews, respektloses Verhalten, nicht eingehaltene Versprechen und vieles mehr. Ursache dafür sind Verfahren aus der Vergangenheit, Methodenhörigkeit, Ignoranz, unangebrachte Arroganz und ein Mangel an Bewerberorientierung. Man steckt in Prozessen, die für das Unternehmen zwar praktisch, für die Kandidaten jedoch ätzend sind.

Ein Jobsuchender sammelt an jedem Punkt im Bewerbungsprozess Eindrücke, die sich zu einem Gesamtbild verdichten: Diese Firma ist richtig für mich – oder auch nicht. Dabei ist seine Meinung immer subjektiv, manchmal unfair oder vielleicht falsch.

Aber es ist seine Meinung, die er weitergibt: online und offline. Solche Erfahrungsberichte beeinflussen die Vorentscheidungen Dritter. Sie ziehen weitere gute Talente an oder vertreiben diese noch vor dem ersten Kontakt.

Mit den Mitarbeitern gemeinsam entwickeln

Candidate Journeys werden am besten zusammen mit den Mitarbeitern des Unternehmens entwickelt. Sie zeigen, wo und wie die Bewerber suchen, was sie erwarten, welche Erfahrungen sie während des Bewerbungsprozesses machen wollen, welche Erlebnisse sie tatsächlich machen und wie ihre Reaktion darauf ist.

So können neue Herangehensweisen gefunden werden. Die wichtigsten Ein- und Ausstiegspunkte während eines Bewerbungsprozesses können ermittelt und optimiert werden. Veraltetes und Irrelevantes lässt sich streichen – oft spart das auch Kosten.

Zudem gilt: Jede Bewerbergruppe hat unterschiedliche Erwartungen an die einzelnen Interaktionspunkte, damit es zu einer Zusage kommt. Um sie für sich zu gewinnen, muss man gezielt auf sie eingehen.  Betriebe, die sich nicht auf die Erwartungen der jungen Generation einstellen können, werden deren Potenzial niemals gewinnen.

Die Bewertung der Bewerber entscheidet

Unbedingt ist zu prüfen, ob das, was an den Interaktionspunkten passiert, enttäuschend, okay oder begeisternd ist. Hierzu werden die Erlebnisse, die ein Bewerber an einem Interaktionspunkt hat oder haben könnte, beleuchtet. Dabei geht es sowohl um die Wichtigkeit eines Interaktionspunktes als auch um die Interaktionsqualität. So lassen sich die unnötigen, die unverzichtbaren, die katastrophalen und die bestens funktionierenden Punkte ermitteln.

Idealerweise werden die kürzlich eingestellten Mitarbeiter und wenn möglich die abgesprungenen Kandidaten befragt. Etwa zehn bis zwanzig Personen reichen zum Start. Hier die entsprechenden Fragen im Wortlaut:

  • Auf einer Skala von 0 bis 10: Wie wichtig ist Ihnen dieser Punkt?
  • Auf einer Skala von 0 bis 10: Würden Sie das, was an diesem Interaktionspunkt passiert ist, weiterempfehlen?

Nach jeder Antwort stellen Sie dann gleich noch ein paar Zusatzfragen:

  • Was ist der wichtigste Grund für die Bewertung, die Sie abgegeben haben?
  • Was lief aus Ihrer Sicht besonders gut?
  • Was hat Sie daran gehindert, uns den Höchstwert zu geben?
  • Haben Sie dazu eine schnell umsetzbare Idee?

Mit diesen Fragen kommen Sie sofort an die wichtigsten Bewerbermotive heran. Vor allem Spitzen und Täler sind dabei interessant. Vermeintliche Kleinigkeiten können aus Bewerbersicht herbe Enttäuschungen oder unakzeptable Missstände sein. Solche kritischen Ereignisse müssen schnellstens gefunden und beseitigt  werden.

Was Bewerber besonders mögen, muss verstärkt werden, dass wird oft zu wenig beachtet. Auch die Supertouchpoints, die in besonderem Maße auf die Arbeitgeber-Reputation und das lebensnotwenige Weiterempfehlen einzahlen, lassen sich so bestimmen.

In sieben Schritten zur Candidate Journey

Schritt 1: Legen Sie zunächst fest, welches Szenario Sie für welchen Bewerbertyp untersuchen wollen. Zum Beispiel: Ein Hochschulabsolvent bewirbt sich um seine erste Stelle. Definieren Sie dazu gegebenenfalls prototypische Bewerberstellvertreter.

Schritt 2: Identifizieren Sie alle Interaktionspunkte, die in diesem Szenario eine Rolle spielen könnten. Unterteilen Sie die Bewerberaktivitäten hierzu chronologisch in einzelne Phasen. Ordnen sie die relevanten Interaktionspunkte danach den einzelnen Phasen zu. Wichtige Punkte, wie die Karriereseite des Unternehmens können untergliedert und so detailliert betrachtet werden. Analysieren Sie in diesem Schritt auch das öffentliche Feedback auf Arbeitgeberbewertungsportalen.

Schritt 3: Stellen Sie die einzelnen Bewerbungsphasen und die dazugehörigen Interaktionspunkte in ihrer zeitlichen Abfolge als Grafik dar. Beobachten und befragen Sie dazu auch die Bewerber. Illustrieren Sie, soweit möglich und rechtlich erlaubt, quasi wie bei einem Reisebericht, was an den einzelnen Touchpoints passiert: durch Videos, Fotos, episodische Begebenheiten oder Sprechblasen-Statements. Markieren Sie die laut Bewerberangaben besonders wichtigen Punkte.

Schritt 4: Jede Erfahrung, die ein Mensch macht, wird mit einem emotionalen Plus oder Minus markiert. Analysieren Sie deshalb das, was aus Sicht der Jobsuchenden an den einzelnen Interaktionspunkten passiert. Befragen Sie ausgewählte Personen nach den Höhen und Tiefen der Bewerbererfahrung.

Schritt 5: Erarbeiten Sie danach gemeinsam, was Sie tun können, um die Bewerbererlebnisse an jedem Punkt zu verbessern, reibungsloser und unbeschwerter zu gestalten. Definieren Sie dazu das Soll, wie also eine optimale Touchpoint-Reise zum Traumjob tatsächlich aussehen könnte. Um dabei in die Begeisterungszone zu gelangen, kann man gar nicht genug außergewöhnliche Ideen haben. Seien Sie also mutig.

Schritt 6: Setzen Sie die verabschiedeten Maßnahmen schnellstmöglich um. Favorisieren Sie die Quick Wins, also Maßnahmen, die schnelle Erfolge erzielen. Und halten Sie alle Versprechen unbedingt ein. Begeisterung heißt immer: Erwartung plus x. Die Referenzpunkte liegen dabei auf Höhe der besten und schlechtesten subjektiven Erfahrungen, die ein Bewerber je auf diesem Gebiet gemacht hat.

Schritt 7: Sammeln Sie Ihre Ergebnisse und legen Sie geeignete Kennzahlen fest. Meist ist es ein passender Mix aus mehreren Interaktionspunkten, der für eine Zusage verantwortlich ist. Wichtig ist es den Bewerber zu fragen: „Wie sind Sie ursprünglich auf uns aufmerksam geworden?“

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