Chefsache Selbstreflexion: Rundflug über das eigene Tun

Die kritische Selbstreflexion zählt zu den wichtigsten Eigenschaften einer guten Führungskraft. Um sein eigenes Verhalten stetig zu optimieren und nicht in Verzerrungsfallen zu tappen, hilft der Blick von oben auf das eigene Tun.

Buch zum Thema: Das Touchpoint-Unternehmen von Anne M. Schüller. Untertitel: Mitarbeiterführung in unserer neuen Businesswelt. Gabal, März 2014, 368 Seiten, 29,90 Euro, ISBN: 978-3-86936-550-3, Managementbuch des Jahres. Auch als Hörbuch erhältlich. – © Gabal / Anne M. Schüller

Um die Selbstreflektion anzuregen, müssen wir die Entfernung zu unserem Tun vergrößern. Und was heißt das genau? Versetzen Sie sich in die Rolle eines Malers, der einige Schritte von seinem Bild zurücktritt, um es aus der Distanz betrachten zu können. Oder denken Sie an einen Rundflug über das eigene Tageswerk. Haben Sie so einen Überblick gewonnen, stellen Sie sich zum Beispiel folgende Frage: Hätte ich unseren besten Kunden so behandelt, wie ich heute meinen Mitarbeiter behandelt habe?

Eine weitere Technik ist die der „drei Siebe“, die gerne dem griechischen Philosophen Sokrates zugeschrieben wird. Die drei Siebe sind Fragen, die man sich stellt, bevor man etwas tut oder einen Gedanken ausspricht. Sie lauten so: „Ich es wahr?“ „Hat es Güte“? „Ist es notwendig?“

Der Blick von oben auf das eigene Tun

Die Meta-Ebene, auch Helikopter-Perspektive genannt, kann den eigenen Anteil an dem, was passiert, in den Fokus rücken. Hierdurch entstehen Fragen wie diese:

  • Zeigen sich meine Mitarbeiter führungsbedürftig, weil ich so bestimmend bin?
  • Sind sie etwa deshalb so ruhig, weil ich ihre Meinung nicht gelten lasse?
  • Kommen keine Ideen von ihnen, weil ich immer alles besser weiß?

Eenso kann man während einer konkreten Interaktion immer mal wieder ganz rasch auf die Metaebene wechseln und sich fragen.

  • Wird das, so wie ich es jetzt gleich sagen will, für den Mitarbeiter/die Mitarbeiterin enttäuschend, okay oder begeisternd klingen?
  • Wie kann ich es besser sagen, so dass es für ihn/sie annehmbarer ist? 

Wichtig dabei: immer wie ein guter Schachspieler zwei, drei Züge vorausdenken.

Wie kommunikative Desaster vermieden werden

Von einer höheren Warte aus lässt sich ein prima Rundumblick wagen. Dabei verlässt man die ichbezogene Sichtweise und begibt sich in die Rolle eines neutralen Betrachters. Folgende Fragen kann man sich stellen:

  • Was wird das, was ich gerade sage/tue, beim anderen bewirken?
  • Wie wird/kann er/sie das, was ich sage/tue, verstehen?
  • Was wird er/sie daraufhin wahrscheinlich tun?
  • Ist dies das von mir Gewünschte?
  • Was muss/kann ich verändern, damit es dem Gewünschten entspricht?
  • Lebe ich selbst vor, was ich bei anderen erreichen will?
  • Was kann ich bei mir selbst in Zukunft verbessern?
  • Bedeutet es Lebensqualität, von mir geführt zu werden?
Manches kommunikative Desaster könnte vermieden werden, würde eine solche Meta-Ebene der kritischen Selbstreflexion systematisch in die tägliche Führungsarbeit integriert. Sie setzt vor, während und nach jeder Interaktion ein. Eine wichtige Frage am Ende ist immer auch diese:
  • Habe ich dem Mitarbeiter (schon wieder) gesagt, was er tun soll?
  • Oder habe ich ihn vielmehr gefragt, was er auf welche Art machen will und wird?
 Wenn Sie die Verantwortung in die Hände der Mitarbeiter legen, dann müssen Sie allerdings Entscheidungen aushalten können, die Sie selbst so nicht getroffen hätten.

Hüten Sie sich vor den Affen

Der Blick von oben schützt auch davor, dass immer alles auf dem eigenen Schreibtisch landet. Dieses Thema hat der Managementberater William Oncken sehr plakativ unter dem Begriff „Monkey Management“ bekannt gemacht. Worum es dabei geht?

Ein Mitarbeiter kommt mit seinem Anliegen zum Vorgesetzten, damit dieser eine Lösung findet. Schlau hat sich der „Affe“ herübergehangelt und auf der Schulter des Chefs ein bequemes Plätzchen gefunden. Oder er tobt mit all den anderen „Affen“, die Sie von den übrigen Mitarbeitern in Pflege genommen haben, auf Ihrem Schreibtisch herum. So ist an das Bewältigen eigener Arbeit bald nicht mehr zu denken.

Natürlich dürfen die Mitarbeiter mit ihren „Affen“ zum Chef kommen, doch sie müssen ihn am Ende des Gesprächs wieder mitnehmen („Affe rein – Affe raus“). Dazwischen findet ein kleines Coaching statt, und zwar mit klugen Fragen, die dem Mitarbeiter helfen, selbst eine passende Lösung zu finden. Hier drei Varianten:

  • Was würde denn aus Ihrer Sicht die Situation verbessern?
  • Was würden Sie denn tun, wenn es Ihr Unternehmen wäre?
  • Wen aus dem Kollegenkreis könnten Sie denn konsultieren, bevor sie entscheiden?

Das Rot-Gelb-Grün-Ampelsystem

Führungskräfte können ihre Selbstreflektion auch durch ein emotionales Sicheinfühlen in die Situation des Mitarbeiters trainieren. Das Ampelsystem der Managementberater Mette Norgaard und Douglas Conant ist dabei hilfreich:

  • Grün bedeutet: Die Führungskraft erkennt an verbalen und nonverbalen Signalen, dass alles bestens läuft, dass es dem Mitarbeiter prima geht, und dass mit der Interaktion zügig fortgefahren werden kann.
  • Gelb bedeutet: Der Mitarbeiter wechselt in eine Hab-Acht-Stimmung. Offenheit und Gelöstheit verschwinden, er nimmt sich zurück, er wird unruhig und/oder seine Miene verdüstert sich. An dieser Stelle unterbricht man die Interaktion und sagt: „Mir ist, als ob Sie eine Frage haben …?“
  • Rot beutet: Der Mitarbeiter erstarrt und macht sichtbar zu. Seine Miene wirkt abweisend, er geht in eine Kontra-Haltung. In diesem Fall muss die Interaktion zunächst gestoppt werden. Jedes weitere Vorgehen würde auf taube Ohren treffen. Die Störung hat Vorrang. „Wie denken Sie darüber?“ könnten Sie fragen, oder: „Was geht in Ihnen vor, wenn Sie das hören?“
Hiernach macht der Vorgesetzte eine lange Pause, damit der Gesprächspartner sich sammeln und dann antworten kann. Er muss gut hinhören, und auf den Mitarbeiter eingehen. Ziel ist es, ihn wieder auf gelb und dann auf grün zu bringen. Der Gesprächsführer muss fragen, was getan werden müsste, damit es wieder auf gelb oder grün beim Mitarbeiter gehen kann. Denn nur dann, wenn die Mitarbeiter voll und ganz mitziehen, können Spitzenleistungen gelingen.

Feedback geben – Feedback nehmen

Um das Können und schließlich das Wollen der Mitarbeiter zu fördern, kann man sich auch einmal kritisch mit dem eigenen Feedback-Verhalten befassen. Folgende Fragen lassen sich stellen:

  • Gebe ich meinen Mitarbeitern mehr Kritik oder mehr Anerkennung?
  • Was hält mich – ganz ehrlich – davon ab, meinen Mitarbeitern mehr Anerkennung zu geben?
  • Bin ich bereit, konstruktive Kritik auszusprechen, auch wenn es für mich oder den Mitarbeiter unangenehm ist?
  • Was bringt mich – ganz ehrlich – dazu, Kritik zu üben? Ist dieses Vorgehen zielführend oder treiben mich „niedere“ Beweggründe?
  • Ist die Art und Weise meiner Feedback-Gespräche akzeptabel? Woran zeigt sich, dass sie respektvoll und konstruktiv geführt werden?
  • Kann ich kritisches Feedback annehmen? Wie fühle ich mich dabei, und wie gehe ich damit um? Dankbar oder abwehrend? Erfreut? Beleidigt? Aggressiv?
  • Kann ich eigene Fehler öffentlich eingestehen? Wie äußere ich dies

Ändert der Vorgesetzte nach einer solchen Selbstanalyse dann etwas, gibt es zwei Möglichkeiten: Einfach ändern oder der Mannschaft die Hintergründe erläutern: „Bisher habe ich immer gedacht, dass … Doch jetzt meine ich, dass ich an diesem Punkt anders agieren sollte, und zwar so …“

Signalisiert ein Chef auf diese Weise Veränderungsbereitschaft, so ist dies ein großes Zeichen an seine Leute, ebenfalls für den Wandel offen zu sein. Wer selbst keinen Mut zur Veränderung zeigt, kann anderen die Angst vor Neuem nicht nehmen.

Buch zum Thema: Das Touchpoint-Unternehmen: Mitarbeiterführung in unserer neuen Businesswelt

(Autorin: Anne M. Schüller, Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin, Businesscoach. Sie gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung.)

www.anneschueller.de