Perspektiven für die Wärmeversorgung der Häuser im Ahrtal

Ahrtal
Begehung der „Ahrtrasse“ (v. l. n. r.: Prof. Stefan Döring/Plant Engineering GmbH; Michael Hauer/Energieagentur RLP; Prof. Jens Hofmeister/Hochschule Trier; Denise Hinz und Herr Fischer/Plant Engineering GmbH; Thomas Weimer/ADD Verwaltungsstab). – © Energieagentur Rheinland-Pfalz GmbH

Im Ahrtal wurden, wie eine zeitnahe erste Satellitenauswertung zeigt, 8.997 Gebäude von der Flut getroffen. Unklar war lange, in welchem Ausmaß die Gebäude beschädigt und die Gebäudeenergieversorgung beeinträchtigt wurde.

Weitere Klarheit bringt jetzt die Bedarfsanalyse der Energieagentur Rheinland-Pfalz. Teams um Projektleiter Paul Ngahan (Energieagentur Rheinland-Pfalz) und Professor Stefan Neumeister (Hochschule Trier) – unterstützt von vielen Freiwilligen des Helfersstabs – haben in den letzten beiden Wochen in den betroffenen Gemeinden des Ahrtals vor-Ort-Begehungen durchgeführt. Dabei wurde ermittelt, welche Schäden die Häuser aufweisen und in welchen Gebäuden in Bezug auf die nahenden Herbst- und Wintermonate Bedarf an Wärmeversorgung besteht. Nun liegen die ersten Erkenntnisse und Auswertungen vor.

Wärmeversorgungsstrategie Ahrtal

Die Energieagentur Rheinland-Pfalz war Mitte August vom Krisenstab der Landesregierung beauftragt worden, eine Bedarfsanalyse zum Thema Heizen / Wärme in der Heizperiode 2021 / 2022 durchzuführen und die Wärmeversorgung in den betroffenen Gebieten – mit Ausnahme derjenigen, die über eine Erdgas- oder Fernwärmeversorgung verfügen – zu koordinieren. Unterstützt wird sie dabei vom ADD Verwaltungsstab, von der Kreisverwaltung Bad Neuenahr, von den betroffenen Verbandsgemeinde- und Stadtverwaltungen und ihren Kooperationspartnern (Schornsteinfeger-/SHK Innung, HWK, Verbraucherzentrale RLP, Hochschule Trier, VKU RLP) sowie vielen freiwilligen Helfern des Helferstabs und durch viele rheinland-pfälzische und bundesweite Hilfsangebote.

Um den unterschiedlichen akuten Bedarfen, Fortschritten und Zielsetzungen in den betroffenen Kommunen Rechnung zu tragen und zugleich eine nachhaltige Zukunftsperspektive bieten zu können, hat die Landesenergieagentur einen Ansatz mit vier strategische Handlungsfelder definiert:

  1. Vor-Ort Erhebung des Versorgungsbedarfs mit individueller Energieberatung und Angebotserstellung durch Fachbetriebe, mit Fokus auf die betroffenen Verbandsgemeinden.
  2. Für das Gebiet der Stadt Bad Neuenahr: Wiederherstellung möglichst großer Versorgungsareale durch Beschleunigung der Reparaturarbeiten und Schaffung von Übergangslösungen im lokalen Gasnetz.
  3. Für das komplette Flutgebiet: Zentrale Koordination von kollektiven Übergangs- und Versorgungslösungen.
  4. Für alle betroffenen Kommunen und Bürger im Ahrtal: Informationsveranstaltungen, Konzeptentwicklung und Projektbegleitung zur nachhaltigen und langfristigen Energieversorgung in den Ahrtalgemeinden durch die Energieagentur Rheinland-Pfalz und ihre Kooperationspartner.

Energieagentur Rheinland-Pfalz mit dreistufigem Unterstützungsprozess

„Leave no one behind – niemanden zurücklassen“ ist der Leitsatz der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, der in diesen bewegten Tagen und Wochen auch auf die Menschen im Ahrtal zutrifft. Sie blicken mit Bangen auf den nahenden Herbst und Winter, denn das Hochwasser hat viele Heizungen zerstört. Viele wissen noch nicht, wie sie ihre Wohnungen und Häuser warm bekommen. Die Energieagentur Rheinland-Pfalz möchte ebenfalls niemanden zurücklassen – weder in den Verbandsgemeinden des Ahrtals, noch in den Städten Bad Neuenahr und Sinzig. Für sie gilt die Prämisse, dass so viele Betroffene wie möglich die Wintermonate in ihrem eigenen Zuhause verbringen können.

Aus diesem Grund hat sie einen dreistufigen Prozess aufgelegt: Im ersten Schritt ermittelten Teams um Professor Neumeister und die Energieagentur Rheinland-Pfalz mithilfe eines Bedarfserfassungsbogen den Wärmebedarf in den Flutgebieten (alternativ war und ist eine direkte Eintragung in die Datenbank möglich). Schornsteinfeger und zertifizierte Energieberater nutzen den Ersterfassungsbogen, um vor Ort, gemeinsam mit den Betroffenen, eine detaillierte Schadensanalyse (mithilfe eine zweiten Erfassungsbogens) zu erheben und Möglichkeiten im Gebäude zu prüfen. Diese Beratung ist kostenfrei, sie wird vom Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität (MKUEM) gefördert. Im letzten Schritt erstellt der betreuende oder von der Handwerkskammer oder Innung empfohlene Heizungsbaubetrieb ein Angebot zur Reparatur, Ersatzbeschaffung oder für eine Übergangslösung. Alle Schritte erfolgen zügig aufeinander abgestimmt, sodass die Betroffenen eine Perspektive für die Wärmeversorgung erhalten.

Die Energieagentur Rheinland-Pfalz wird in Kürze zusammen mit dem Helferstab ein Call-Center einrichten, das sich mit Menschen in Verbindung setzt, die bei der Begehung nicht Zuhause angetroffen wurden. Eine zweite Aufgabe der Mitarbeiter des Call-Centers wird sein, die Betroffenen regelmäßig anzurufen, die einen Bedarfserfassungsbogen bei der Energieagentur Rheinland-Pfalz eingereicht haben. Abgefragt wird wie Reparatur, der Austausch der Heizungen oder die Notlösung vorangeht. So soll sichergestellt werden, dass jeder Betroffene bestmöglich betreut wird und es kann – bei Fehlentwicklungen – gegengesteuert werden.

Analyse und Auswertung des Wärmeversorgungsbedarfs im Ahrtal (Stand 36KW)

Der Schwerpunkt der Bedarfserhebung der Energieagentur Rheinland-Pfalz lag bisher im ländlichen Raum des Ahrtals in den Verbandsgemeinden Altenahr und Adenau. Für die Städte Bad Neuenahr und Sinzig wird möglichst flächendeckend eine Wärmeversorgung durch zentrale Wärme- und Gasnetze angestrebt. Dennoch haben die Bürger der beiden Städte jederzeit die Möglichkeit ihren Beratungsbedarf analog der Ahrgemeinden bei der Energieagentur Rheinland-Pfalz anzuggeben, um somit von den beschriebenen Hilfsangeboten ebenfalls profitieren zu können.

Das Ergebnis der Vor-Ort-Begehungen zeigte, dass die ersten satellitenbildgestützten Auswertungen zum Schadensbild der Flutkatastrophe im Ahrtal teilweise ein unvollständiges Gesamtbild widerspiegeln. So gab es Straßenzüge in den Ahrteilgemeinden der VGen Neuenahr und Adenau, in denen 110 Haushalte in der Satellitenbildanalyse als betroffen erfasst waren, jedoch keine Schäden aufwiesen. Dies betrifft insbesondere die Gemeinden Dernau, Mayschoß, Insul und Liers. Dem gegenüber wurden bei den vor Ort Begehungen 86 flutgeschädigte Haushalte erfasst, die in der Erstanalyse nicht berücksichtigt waren. Dies betrifft insbesondere die Gemeinden Schuld, Hönningen, Dernau und Brück.

Weitere Ergebnisse

Bei der Ergebnisauswertung der Individualerhebung konnte zu 860 detailliert erfassten Gebäuden ermittelt werden, dass knapp die Hälfte (47 %) der Gebäude aktuell noch bewohnbar sind. 10 % der erfassten Gebäude weisen einen Totalschaden, 62 % einen Teilschaden und 18 % lediglich einen Reparaturschaden auf (10 % der Rückläufer waren ohne Spezifikation). Besonders betroffen waren dabei, wie erwartet, die Gemeinden in der VG Altenahr.

73 % der Betroffenen gaben an, dass ihre Heizung einen Totalschaden erlitten habe, für 12 % der erfassten Gebäude wurde ein Teilschaden ihrer Heizungsanlagen gemeldet. Dabei weichen die Ergebnisse der einzelnen Ortsgemeinden wesentlich voneinander ab. 24 % der Befragten vermuten, dass eine Reparatur möglich ist wohingegen 46 % davon ausgehen, dass eine Übergangslösung für die anstehende Heizperiode erforderlich ist. 30 % der Befragten wissen den Zustand ihrer Heizung nicht einzuschätzen. Dabei konnten bereits 36 % der Befragten schon einen Heizungsfachbetrieb mit der Umsetzung von Reparatur und Notlösungsmaßnahmen beauftragen.

Überdeutlich war das Ergebnis bei der Frage, wie sich die betroffenen Bürger ihre zukünftige Wärmeversorgung vorstellen: 84 % wünschen sich eine langfristig nachhaltige Lösung. Insbesondere wurde bei den Erfassungsgesprächen immer wieder auf die Umweltschäden durch Heizöl und die Klimaeffekte hingewiesen, die zukünftig zu vermeiden wären. Alle Haushalte in den betroffenen Gemeinden der VGen Neuenahr und Adenau haben einen Erfassungsbogen an ihrer Haustüre erhalten. Übergreifend ist festzustellen, dass noch rund 1.750 Gebäudeeigentümer – trotz Pressemeldungen, vor Ort Information durch die Bürgermeister und vor Ort Begehung – noch keinen Ersterfassungsbogen bezüglich ihrer Schadenssituation und ihres Wärmeversorgungsbedarfes abgegeben haben oder dies eventuell noch nicht konnten. Bei einem wesentlichen Anteil dieser Haushalte ist nach den ersten Erkenntnissen davon auszugehen, dass eine Wärmeversorgung in Eigenregie organisiert werden kann. Die Energieagentur Rheinland-Pfalz bietet auch in Zukunft jedem Betroffen die Möglichkeit der Schadenserfassung und Regulierung in Zusammenarbeit mit ihren Kooperationspartnern und den Kommunen.

Gasversorgung im städtischen Gebiet

Nach bisherigem Stand war eine Gasversorgung in weiten Teilen der Stadtgebiete nördlich der Ahr zum Beginn der Heizperiode nicht sichergestellt. Strombasierte Ersatzlösungen können durch das innerstädtische Stromnetz jedoch nur bedingt bereitgestellt werden.

Um alle Möglichkeiten zur Gasversorgung auszuschöpfen, haben ENM, EVM, Ahrtalwerke, ADD Verwaltungsstab, Energieagentur Rheinland Pfalz, Hochschule Trier – mit Unterstützung der Landesregierung – kurzfristig eine erweiterte Planungsgruppe etabliert, um gemeinsam mit weiteren Partnern aus dem Planungs- und Versorgungsbereich eine zeitnahe Versorgung auch der nördlichen Stadtteile zu entwickeln. Die positiven Ergebnisse dazu wurden in einer separaten Pressemeldung von ADD-Entwicklungsstab und Energieagentur Rheinland-Pfalz veröffentlicht.

Netz-Lösungen mit mobilen Heizzentralen

Ungewöhnliche Umstände erfordern ein ungewöhnliches Handeln. Die Gemeinde Mayschoß hat, mithilfe von Professor Neumeister und seinem Team sowie Thomas Weimer (ADD Verwaltungsstab), Ende August ein Pilotprojekt gestartet und eine mobile Heizzentrale in Betrieb genommen. Sechs Familien werden über kleine Wärmenetze und mobile Ölheizungen versorgt. Inzwischen sind noch zwei weitere Ölheizzentralen und zwei Elektroheizstationen hinzugekommen, sodass weitere elf Familien mit Wärme versorgt werden und so den Winter in ihrem eigenen Zuhause verbringen können. Möglich wären 40-50 Anschlüsse. Dieses Pilotprojekt ist in Bezug auf die Option und Akzeptanz für spätere nachhaltige Lösungen auf Basis von erneuerbaren Energien ein wichtiges Zeichen an die betroffenen Menschen im Ahrtal.

Weitere Projekte, ähnlich dem in Mayschoß, konnten in der Zwischenzeit in der Ortsgemeinde Müsch realisiert werden, in der 30 von insgesamt 110 Gebäuden von der Flut betroffen waren. Hier sind mittlerweile sieben mobile Heizzentralen installiert worden, die 17 Familien mit Wärme versorgen. In Dernau waren von insgesamt 650 Häusern 550 vom Hochwasser betroffen. Die Ortsgemeinde plant zukünftig eine Wärmeversorgung mit Heizzentralen, zukünftig auf regenerativer Basis. Eine Initiative „Wärme für Dernau“, bestehend aus ansässigen engagierten Bürgern, hat eine Spende von zwei mobilen Heizzentralen erhalten. Die Energieagentur Rheinland-Pfalz unterstützt die Initiative durch Beratung und stellt Wärmeleitungen für diese Heizzentralen zur Verfügung, damit sie installiert werden können. Schon in den nächsten Tagen werden 20 Häuser angeschlossen und mit Wärme versorgt. In der Ortsgemeinde Rech wurden zwölf Häuser identifiziert, die eine Notlösung für die Heizung benötigen. Zwölf mobile Elektroheizstationen wurden angeliefert und werden nächste Woche – nach Abstimmung der Landesenergieagentur mit dem Netzversorger (Westnetz) – installiert. 19 Häuser in Schuld und rund 15 in Ahrbrück sollen mit Unterstützung der Energieagentur Rheinland-Pfalz in Kürze auf die gleiche Weise beheizt werden.

In betroffenen Häuser, die nicht in Nahwärmenetze zusammengefasst werden können, wird die Energieagentur Rheinland-Pfalz zusammen mit ihren Kooperationspartnern angepasste Einzellösungen (Einzelöfen, Heizöfen, Pelletöfen etc.) suchen und unterstützen.

Wie geht es nun weiter im Ahrtal?

Bei der Erfassung der Versorgungsbedarfe in den betroffenen Ortschaften konnte die Landesenergieagentur viele Menschen erreichen und Bedarfe vor Ort aufnehmen. In enger Kooperation mit Schornsteinfegern und Handwerkerschaft muss der eingeschlagene Weg zur Sicherstellung der Wärmeversorgung im Ahrtal weiterhin aktiv begleitet werden. Insbesondere der Wunsch nach einer nachhaltigen Energieversorgung ist nach den heizölbedingten Umweltschäden in der Bevölkerung und bei den Kommunen weit verbreitet.

Zusammen mit ihren Kooperationspartnern und den Kommunen vor Ort plant die Energieagentur Rheinland-Pfalz die Entwicklung eines Energie-Zukunftskonzeptes mit dem Fokus auf einer nachhaltigen Versorgung und regionaler Wertschöpfung.

Vor diesem Hintergrund bietet sie allen betroffenen Kommunen im Ahrtal, parallel zu den individuellen Beratungen, auch Informationsveranstaltungen vor Ort für Bürger und Entscheidungsträger an. Dabei sollen alternative Konzepte wie Wärmenetze auf regenerativer Basis vorgestellt und am konkreten Bedarf orientiert erörtert werden. So fand zum Beispiel am 13. September 2021 in Mayschoß eine Veranstaltung zu nachhaltiger Wärmeversorgung der Zukunft statt. Einen Tag später wird in Kreuzberg über Möglichkeiten der klimafreundlichen Wärmeversorgung im Bestand gesprochen. Weitere Informationsveranstaltungen sind in Marienthal, Schuld und Hönningen geplant. Sie werden zusammen mit den Kooperationspartnern der Landesenergieagentur, wie Verbraucherzentrale, SHK Fachverband Rheinland-Rheinhessen und Schornsteinfegern durchgeführt.

Seit der Flut gibt es zahlreiche Gespräche mit Bürgern, (Orts-)Bürgermeistern und Ortsvorstehern. Diese regelmäßigen Gespräche werden auch künftig stattfinden, sodass Wünsche und Bedarfe direkt an die Energieagentur Rheinland-Pfalz herangetragen werden können. Mit interessierten Kommunen wie Hönningen, Schuld, Marienthal, Mayschoß, Dernau und Rech finden in Kürze Gespräche über eine Konzeptentwicklung und Projektbegleitung hin zu nachhaltiger, klimafreundlicher und langfristiger Energieversorgung statt.

Im Sinne eines Energie-Zukunftskonzeptes gibt es auch eine enge Abstimmung mit dem Verband Kommunaler Unternehmen (VKU RLP). Dabei wird zum Beispiel auch erörtert, wie größere Stadtwerke zukünftig Kommunen bei der Umsetzung der Energiewende langfristig unterstützen können, beispielsweise im Rahmen einer sogenannten Energiepatenschaft. Die Landesenergieagentur wird zeitnah dazu berichten.

www.energieagentur-rlp