Wasserstoff als Energieträger

Am Standort Worcester stellt Bosch den Prototypen eines ‘H2 Ready’-Heizkessels vor. Dieser kann zunächst mit Erdgas betrieben werden, bevor er dann in wenigen Schritten auf die vollständige Nutzung von Wasserstoff umgestellt wird. – © Bosch Thermotechnik

Nach dem europäischen Green Deal und weltweit rund 1.700 Fridays-for-Future-Kundgebungen ist auch Deutschland im vergangenen Jahr einen wesentlichen Schritt in Richtung Klimaschutz gegangen. Die Bundesregierung rückt Wasserstoff als erneuerbaren Energieträger in den Fokus.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaiers ambitioniertes Ziel: Deutschland als „Nummer 1“-Land der Wasserstofftechnologien hervorgehen zu lassen: „Wasserstoff“, so der Minister, „wird ein Schlüsselrohstoff für eine erfolgreiche Energiewende sein.“ Das Potential bei der Nutzung von Wasserstoff im Gebäudebereich wird in der politischen Diskussion jedoch kaum thematisiert. Das, obwohl knapp 40 % des Gesamtenergieverbrauchs und rund ein Drittel des CO2-Ausstoßes Deutschlands hier ihren Ursprung finden. In anderen Ländern, wie zum Beispiel in Großbritannien oder den Niederlanden, sind die Potentiale innerhalb des Gebäudesektors erkannt und werden entsprechend genutzt.

Grüne Gase als Türöffner zur klimafreundlichen Zukunft

Aus politischer Sicht ist das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 gesetzt. Der Green Deal, das Maßnahmenpaket der EU, soll diesen Wandel unterstützen. Ein wesentlicher Bestandteil der „grünen Abmachung“ ist neben einem Umstieg auf nachhaltige Energietechniken ebenso die Nutzung klimaneutraler Gase. Klimaneutrale oder „grüne“ Gase sind gasförmige Energieträger, bei deren Verbrennung kein zusätzliches CO2 ausgestoßen wird. Sie treiben damit die Defossilisierung voran. Das ist beispielsweise bei der Nutzung von Biogasen und aus erneuerbarem Strom erzeugten Gasen der Fall. Grüne Gase bieten ein hohes Klimaschutzpotential, sind bezahlbar und vielseitig einsetzbar. Ermöglicht wird dies durch über Jahrzehnte aufgebaute Infrastrukturen wie zum Beispiel die Gasnetze. Weiterhin können grüne Gase ohne Verlust über lange Zeit gespeichert werden, was eine hohe Verfügbarkeit gewährleistet. Vor allem im Gebäudesektor, wo rund 80 % der Energie fürs Heizen aufgewendet wird, bietet die Nutzung grüner Gase die Chance auf einen günstigen und klimafreundlichen Umstieg. Die Europäische Kommission hat das Potential klimaneutraler Gase erkannt. Bis 2024 soll die Produktion grünen Wasserstoffs deshalb auf eine Million und bis 2030 sogar auf zehn Millionen Tonnen steigen.

Die Reduktion klimaschädlichen Treibhausgases drängt: Neben dem Verkehrssektor steht vor allem der Gebäudesektor vor einer großen Aufgabe. Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß um weitere 37 % sinken. Unabdingbar dafür: der Umstieg auf klimaneutrale Energieträger wie Wasserstoff. – © Bosch Thermotechnik

Wasserstoff und seine Erschließung

Wasserstoff, chemisch H, steht nicht umsonst an erster Stelle des Periodensystems. Es ist das am häufigsten vorkommende Element im gesamten Universum – jedoch nicht in reiner Form: Wasserstoff ist eine sogenannte Sekundärenergie, die aus Primärenergie gewonnen wird. Für seine Herstellung muss also zunächst weitere Energie aufgebracht werden. Der Verweis auf Wasserstoff als klimaneutraler oder gar CO2-freier Energieträger hängt in erster Linie mit der Gewinnung des Stoffes zusammen. Die Herstellung grauen Wasserstoffs, der unter Einsatz von fossilen Energien gefördert wird, geht mit einem hohen CO2-Austoß einher. Nahezu CO2-neutral hingegen ist die Produktion blauen Wasserstoffes. Hierbei reduziert das sogenannte „Carbon Capture and Storage“-Verfahren, kurz CCS, den CO2-Austritt in die Atmosphäre deutlich. Grüner Wasserstoff, hergestellt durch Elektrolyse, ist durch die Verwendung von Strom aus regenerativen Quellen vollends CO2-frei. Das „Power to Gas“-Verfahren wirft ein neues Licht auf die künftige Energieversorgung. Mit Blick auf die angestrebte Klimaneutralität der Bundesregierung bis 2050 birgt es hohes Potential, einen Energieträger der Zukunft hervorzubringen: Durch die Umwandlung von elektrischer Energie in chemische lässt sich überschüssiger Strom speichern und somit nachhaltig nutzbar machen. Bislang ist aus Elektrolyse gewonnener Wasserstoff jedoch nur in geringen Mengen verfügbar. Wie viel davon im häuslichen Raum Anwendung finden wird, ist von der künftigen politischen Priorisierung abhängig.

Wasserstoff-Potentiale wiederentdecken

2022 ist es soweit: die verbleibenden Atomkraftwerke in der Bundesrepublik werden abgeschaltet. Dann gilt es, die fehlende Energie zu kompensieren. Strom durch erneuerbare Energien, darunter Windkraft, kann derzeit aufgrund fehlender Speichermöglichkeiten nicht effizient genug genutzt werden. Hier bietet Wasserstoff längst vergessene Potentiale. Die Einspeisemenge erscheint jedoch als Knackpunkt: Zu unterschiedlich sind die Eigenschaften von Erdgas und Wasserstoff, zu komplex die Anforderungen, die mit der Vermischung der Energieträger einhergehen. Dabei ist der Einspeisevorgang in Deutschland nicht neu. Dieser hat sich schon in der Vergangenheit bewährt. Schließlich bestand das bis etwa 1950 genutzte Stadtgas zu einem wesentlichen Teil aus Kokereigas und damit aus einem Wasserstoff-Anteil von mehr als 50 %. Kokereigas wurde durch die herkömmlichen Gas-Netze transportiert. Einer gesonderten Infrastruktur für Wasserstoff würde es damit heute nicht bedürfen. Schließlich ist mit dem deutschlandweiten Gas-Netz bereits ein Verteilungszentrum geschaffen, das der Wasserstoffeinspeisung und -Speicherung zur Verfügung steht.

Schritt für Schritt zur nachhaltigen Wasserstoffnutzung

Der Agenda des Bundesverbands der Energie und Wasserwirtschaft zufolge sind die technischen Anforderungen für die Nutzung von Wasserstoff im Fernleitungs- wie im Verteilnetz umsetzbar: „Ziel ist es, einen stetig wachsenden Anteil klimaneutraler Gase durch wachsende Wasserstoff-Beimischung und/oder das Entstehen reiner Wasserstoffnetze zu ermöglichen – bis hin zu einer vollständigen Umstellung der bestehenden Netze auf ausschließlich klimaneutrale Gase“, so der Plan des Bundesverbands. „Für eine uneingeschränkte Einspeisung des erneuerbaren Wasserstoffs in das Gasnetz“, so der Verband weiter, „ist eine nachgeschaltete Methanisierung notwendig.“ Das aus dem erneuerbaren Wasserstoff erzeugte Methan weise die gleichen Eigenschaften wie Erdgas auf, erklärt der Verband. Das Energiewirtschaftsgesetz sei in Bezug auf die Wasserstoffnutzung noch lückenhaft. So schildert der aktuelle Bericht des Bundesverbands: „Derzeit erfasst das EnWG in seiner Gasdefinition (§ 3 Nr. 19a EnWG) lediglich Wasserstoff aus Elektrolyse oder daraus produziertes Methan, wenn es anschließend in ein Gasversorgungsnetz eingespeist wird.“ Nicht erfasst sei jedoch Wasserstoff, der in ein reines Wasserstoffnetz eingespeist wird, sowie Wasserstoff aus anderen Herstellungspfaden.

Wasserstoffbeimischung ist ein Anfang

Die sukzessiv steigende Beimischung von zunächst geringen Wasserstoffanteilen ins Erdgasnetz ist ein erster Schritt hin zur vollständigen Wasserstoffnutzung. Schon seit mehr als zwei Jahrzenten stellt die Wasserstoffbeimischung von bis zu 10 % kein Problem für Gas-Brennwertgeräte der Bosch Thermotechnik-Marken (www.bosch-thermotechnik.de) dar. Viele der neueren Geräte eignen sich ebenso für eine Wasserstoffbeimischung von bis zu 20 %, ohne dass Geräteanpassungen vorgenommen werden müssen. Die graduelle Steigerung des Wasserstoffanteils in Erdgasnetzen setzt langfristig jedoch eine Neuausrichtung der gängigen Gerätetechnik voraus. Hier ist Bosch Thermotechnik mit der Entwicklung des ‚H2 Ready‘-Heizkessels einen entscheidenden Schritt gegangen. 

In den nach außen hin unscheinbar wirkenden Häusern der britischen HY-Street wird derzeit ein Energieträger mit wesentlichem Zukunftspersonal innerhalb der Heizbranche getestet: Wasserstoff. – © Bosch Thermotechnik

‚H2 Ready‘-Heizkessel sichert vollständige Wasserstoffnutzung

Während die Politik auf Bundes- und EU-Ebene die Nutzung grünen Wasserstoffs sukzessive steigern will, erprobt Bosch bereits heute den vollständigen Umstieg auf das klimaneutrale Gas. Der Bosch Thermotechnik-Standort Worcester ist maßgeblich am Projekt Hy4Heat beteiligt. Hier entwickeln die Ingenieure Gas- Brennwertgeräte, die auch mit 100 % Wasserstoff betrieben werden können. Erste Prototypen werden seit 2017 im Labor einer Prüfstelle betrieben. In einem Einfamilienhaus läuft seit September 2020 ein Demonstrationsgerät im Rahmen eines Feldtests. Die Einführung des ersten „H2 Ready“-Gas-Brennwertgerätes plant Bosch Thermotechnik in Großbritannien für 2022. Erste Projekte starten aktuell auch in anderen Ländern, darunter das Wasserstoff-Projekt Uithoorn in den Niederlanden: Gemeinsam mit Partnern wie Nefit Bosch stellt der Netzbetreiber Stedin das Erdgassystem von 14 unbewohnten Häusern um. In bestehenden Einbausituationen wird so erprobt, welche Anpassungen notwendig sind, um Heizungen und Erdgassysteme auf die vollständige Wasserstoffnutzung vorzubereiten. Dafür werden die vorhandenen Gasleitungen temporär für die Nutzung von Wasserstoff konfiguriert und versorgen ‘H2 Ready’-Heizkessel von Bosch mit Wasserstoff. Die Netzgegebenheiten sind in Deutschland vergleichbar und somit jeder weitere Test auch ganz wichtig für die flächendeckende Nutzung wasserstofffähiger Heizkessel in Deutschland. Die Technologie bietet auch für die Bundesrepublik Potentiale, den CO2-Ausstoß im Gebäudesektor deutlich zu senken.

Während Großbritannien bereits heute über eine verpflichtende Wasserstoffnutzung ab 2025 diskutiert, sind in den europäischen Staaten nur die Niederlande in der Vorreiter-Position, wenn es um den Umstieg auf das grüne Gas geht. Ab 2030 wird der Rest der Europäischen Union voraussichtlich nachziehen, um der Erfüllung ihrer Klimaziele nachzukommen. – © Bosch Thermotechnik

Wasserstoff im Gebäudesektor bedarf größerer Aufmerksamkeit

Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor um 66 % reduzieren werden. Verglichen mit den angestrebten CO2-Reduktionen in Sektoren wie Verkehr, Industrie oder Landwirtschaft, ist die Minderung im Gebäudesektor prozentual am höchsten. Fortwährende Verschärfungen der energetischen Mindestanforderungen in Gebäuden haben in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung Deutschlands bereits eine beachtliche CO2-Reduktion ermöglicht. Auch die Anforderungen im Neubau führen heute dazu, dass immer weniger Treibhausgas ausgestoßen wird. Wesentlicher Handlungsbedarf besteht jedoch im Bestand. Von den ca. 19 Mio. Gebäuden in Deutschland sind laut BMWi mindestens 50 % energetisch sanierungsfällig: Hier finden sich rund 12 Millionen veraltete Heizungsanlagen, die einer zeitnahen Modernisierung bedürfen. Ein Großteil dieser Heizungsanlagen versorgt sich über Gas. Gründe hierfür sind neben der günstigen Anschaffung die vorhandene Infrastruktur. Da die Sanierung aller Gebäude auf ein energetisches „Neubau-Niveau“ finanziell und von der Handwerks-Kapazität her betrachtet bis 2030 unrealistisch ist, sind zusätzliche Wege notwendig: Das „grüne Gas“ Wasserstoff bietet hier neben anderen Technologien das Potential zum Wegweiser in eine nachhaltige Zukunft. Die politische Debatte bezieht den Wärmemarkt zwar ein, jedoch meist nur als Randthema. Die Wasserstoff-Beimischung ins Erdgasnetz bleibt unberücksichtigt, obwohl das 512.200 km-lange Gas-Verteilnetz die ideale Voraussetzung bietet, um Wasserstoff einzuspeisen So könnte schon heute einem großen Teil der Bevölkerung Wasserstoff zugänglich gemacht und der CO2-Ausstoß im Bereich Heizen verringert werden. Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien für Strom und Wärme ist es deshalb wichtig, auch die Wasserstoffnutzung schon heute für den Wärmemarkt zu berücksichtigen. Für die Entwicklung und die Produktion wasserstofffähiger Wärmeerzeuger sind klare politische Regelungen bezüglich der Beimischung in das Erdgasnetz und der späteren Umstellung auf 100 % Wasserstoff zwingend erforderlich. Weiterhin bedarf es einer staatlichen Förderung von „H2-ready“-Wärmeerzeugern, um Anreize für flächendeckende, nachhaltige Modernisierungen im Gebäudesektor zu schaffen. Bosch Thermotechnik ist mit seinen Entwicklungen schon heute auf die nachhaltige Energieversorgung von morgen vorbereitet.

www.bosch-thermotechnik.de

Der Autor
Markus Rotert ist Leiter der Entwicklung bei Bosch Thermotechnik.