BIM und das Handwerk

ATP architekten ingenieure gilt als ein Vorreiter bei der Digitalisierung des Bauens. Wie geht die Entwicklung weiter, um neben den Planern künftig zunehmend auch die ausführenden Unternehmen der Gebäudetechnik einzubinden? Über diese Frage unterhielt sich die Si mit Dipl.-Ing. Michael Haugeneder, TGA-Spezialist und Geschäftsleiter von ATP sustain.

Michael Haugeneder, Geschäftsleiter ATP sustain Wien
Michael Haugeneder, Geschäftsleiter ATP sustain Wien, arbeitet als Gebäudetechniker mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in der Planung an den Standorten München und Wien in der Auditierung und Begleitung von Projekten für nachhaltiges Bauen. – © ATP/Schaller

Si: ATP architekten ingenieure gehört zu den großen Planungsbüros in Europa und ist international aktiv. Was können Sie uns über aktuelle Entwicklungen im Bereich der integralen Planung im europäischen Markt berichten?

Michael Haugeneder: Grundsätzlich bedeutet integrale Planung die gemeinsame Lösung von Auftraggeber-Anforderungen und optimale Umsetzung dieser in simultaner und interdisziplinärer Zusammenarbeit aller am Planungsprozess Beteiligten.

Dies erwarten Auftraggeber, seit es Planungsbüros gibt. Bei ATP haben wir die Voraussetzung für diese integrale Planungskultur entwickelt, sodass alle erforderlichen Fachdisziplinen aus einer Hand gemeinsam arbeiten können – und dies trotz kontinuierlicher Hürden durch erschwerende, diese Zusammenarbeit konterkarierende unternehmerische und vertragliche Konstellationen. Zudem haben sich in der letzten Zeit durch wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zwänge auch die Auftraggeber-Anforderungen drastisch geändert, wodurch die Komplexität dieser Anforderungen exponentiell gestiegen ist.

Aus unserer Sicht ist es daher heute dringend notwendig, jegliche Hürden abzubauen, um gemeinsam zukunftssichere Gebäude realisieren zu können. Denn nur im integralen Planungsprozess können wir von der Projektentwicklung über die Planung und Errichtung bis zum Betrieb die hohe Qualität einer Gebäudekonzeption durchgängig und lückenlos umzusetzen. Das bedeutet in anderen Worten, dass integrale Planung zu einer positiven Veränderung der Abläufe im gesamten Bauprozess führen wird. Voraussetzung dafür ist es, die Baubranche ermöglicht die integrale Planung durch umfassende strukturelle Veränderungen.

Si: Welches sind die aktuellen Herausforderungen gerade im deutschen Markt?

Haugeneder: Medial geprägt finden bei uns nun Ausdrücke wie Klimaneutralität, Klimawandel, Widerstandsfähigkeit, Robustheit, grüne Finanzströme usw. Einzug in die Auftraggeber-Anforderungen – jedoch aus Unwissenheit als ad-on-Zusatzdefinitionen. Die größte Herausforderung in einer frühen Phase, der Akquise-Phase, ist es daher, den zukünftigen Auftraggeber darüber aufzuklären, dass das Ziel der Klimaneutralität andere seiner Anforderungen wiederum konterkarieren kann.

Die Verknüpfung von Planung und Ausführung bei BIM-Projekten in Bezug auf die Gebäudetechnik forderteinen hohen Grad an Abstimmung.
Die Verknüpfung von Planung und Ausführung bei BIM-Projekten in Bezug auf die Gebäudetechnik fordert einen hohen Grad an Abstimmung. – © ATP

Klimaneutralitätsziele müssen integraler Bestandteil einer Auftraggeber-Anforderung sein. Doch Auftraggeber müssen sich auch bewusst sein, dass diese mit den traditionellen Auftraggeber-Anforderungen durchaus in Konflikt geraten können. Klimaneutralität könnte etwa die Anwendung modularer Bauweise in Passivhausqualität, 100 % regenerative Energieversorgung oder ein optimiertes A/V-Verhältnis erfordern, dabei aber (übertriebene) Anforderungen an die Raumtemperatur oder Wünsche betreffend architektonische Gestaltung, Gebäudeform, Lage, Infrastruktur usw. beschränken. Wenn diese Punkte jedoch klar in einer Auftraggeber-Anforderung integral formuliert sind, stellt der Konflikt keine unlösbare Herausforderung mehr dar.

Si: An welcher Stelle kommen ausführende Unternehmen und die Fachhandwerke der technischen Gebäudeausrüstung bisher ins Boot?

Haugeneder: Klassisch wie auch in den Vertragsgestaltungen und den Auftraggeber-Anforderungen nach Vergabe der Leistungen an die ausführenden Unternehmen.

Si: Macht es Sinn, diese früher in den Prozess einzubinden? Wenn ja, in welcher Planungsphase?

Haugeneder: Ganz vereinzelt gibt es mittlerweile Vertragsmodelle, in denen ausführende Unternehmen unter Begleitung des Planers in einer frühen Planungsphase (meist nach Baugenehmigung) in das Projektteam kommen. Sie planen das Projekt dann gemeinsam bis zur Ausschreibung. Aus Sicht der integralen Planung – im Zusammenhang mit den komplexen Anforderungen und gleichzeitig der durchgängigen Digitalisierung, Dokumentation und Beibehaltung von Terminen und Kosten – wäre dies ein ideales Modell. Dazu braucht es, neben anderen Verträgen und Strukturen auf Seiten der ausführenden Unternehmen, die Planer und Modellierer, die als integraler Bestandteil im Planungsteam agieren, jedoch mit der Erfahrung der Ausführung und gleichzeitig der Befugnis, Produkte bereits in der Planung voll umfänglich zu berücksichtigen.

Si: Wie kann die Schnittstelle zwischen Planung in Architektur- und TGA-Büro hin zu den ausführenden Unternehmen insbesondere in den technischen Gewerken im Sinne einer integralen Planung und Ausführung optimiert werden?

Haugeneder: Sollte das oben angeführte Konzept der „Beteiligung der ausführenden Unternehmen bereits im Planungsprozess” nicht angewendet werden, so ist es essenziell im Sinne eines Management Prozesses (PDCA = Plan-Do-Check-Act), Qualitätsschleifen und Schnittstellen einzuführen. Es werden also während der Planung Überprüfungen des Fortschritts und Optimierungsphasen durchgeführt. Diese sind in erster Linie nicht investitionsgetrieben, sondern betriebsbedingt getrieben, um für die Zukunft einen optimierten Betrieb zu gewährleisten.

Es ist notwendig, dass vor Auftragsvergabe an den Planer eine messbare Bestellgröße für jede Auftraggeber-Anforderung definiert sein muss. Ansonsten kann dieser Prozess nicht gestartet und dann auch nicht ordnungsgemäß bis zur Vergabe geführt werden, auch nicht mehr während der Ausführung. Damit vermeiden wir, dass, wie in der heutigen täglichen Praxis, bei Fertigstellung des Objekts oftmals Fragen auftreten wie „Warum wurde das so gebaut und nicht anders?“ Die integrale Planung erfordert einen prinzipiellen Check dieser messbaren Bestellgröße und reduziert damit die Treffungenauigkeit, aber sie eliminiert nicht die gesamte Ungenauigkeit.

Si: Was muss sich hier noch tun?

Haugeneder: Ideal wäre, dass bei jedem Bauvorhaben in der Projektentwicklung auch der Planer und das potenziell ausführende Unternehmen involviert werden, um diese Parameter festzulegen. Darauf aufbauend kann eine „produktneutrale Planung”, wie wir sie klassisch kennen, integral durchgeführt werden. Bei den Überprüfungsschleifen wird festgehalten, ob die in der Projektentwicklung festgelegten Merkmale noch immer eingehalten sind oder ob es hier Abweichungen gibt. Schlussendlich wird die Projektentwicklung mit den darin enthaltenen Parametern auch Vertragsgrundlage für die Ausführung, um den Prozess bis zur Baufertigstellung fortzuführen – Ende der stillen Post.

Si: Welche Grundlagen sollten die Berufsschulen dem Nachwuchs hier vermitteln?

Haugeneder: Eine große Herausforderung, vor allem für die ausführenden Unternehmen und für Wartung, Instandhaltung und Betrieb, also die gesamte technische Gebäudeausrüstung, ist die Digitalisierung. Wir erleben derzeit den Umbruch, den die Automobilindustrie schon vor mehr als zehn Jahren durchgeführt hat: Heutzutage kann kein Pannendienst eine Fehlerdiagnose ohne Computer an einem Fahrzeug durchführen, um es wieder flott zu machen, kein Feuerwehreinsatz ohne Laptop bei einem Unfall mit Elektrofahrzeugen agieren. In der technischen Gebäudeausrüstung haben wir zwar keine Seriencontainer, sondern individuelle Objekte. Mit BIM geplante Gebäude besitzen jedoch einen digitalen Zwilling. Jeder, der eine einfache Wartung durchführen möchte, braucht einen Laptop und muss sich hier zurechtfinden.

Da heutzutage nicht mehr nur das Fachwissen des Handwerks gefordert ist, sondern auch das Fachwissen in Hinblick auf Daten, digitale Anwendungen usw., halte ich die Digitalisierung und deren Auswirkungen für eine große Herausforderung. Meines Erachtens ist sie derzeit die größte Arbeitsmarkt-Initiative in der Baubranche: Denn wir brauchen voraussichtlich bald enorme Mengen an Arbeitskräften mit einem speziellen Fachwissen im Bereich der digitalen Anwendungen – und das in allen Phasen einer Immobilie.

Si: Und wie können sich SHK-Unternehmer weiterbilden?

Haugeneder: Es ist unumgänglich, dass sich Unternehmen dieses Wissen aneignen müssen. Das gilt auch, wenn noch keine intensive Anwendung von digitalen Zwillingen vorhanden ist. Dies betrifft besonders Unternehmen, die Wartungen und Instandhaltungsarbeiten an bestehenden haustechnischen Anlagen anbieten. Sie sollten sich zu BIM, zu digitalen Zwillingen, zu vernetzten Systemen weiterbilden und Erfahrungen sammeln. Ansonsten werden sie zukünftig die notwendigen Arbeiten nicht durchführen können (Stichwort Pannenhilfe des ADAC). Gleichzeitig bietet ihnen diese Weiterbildung die Chance, in zukünftigen partizipativen, integralen Planungsprozessen als ausführendes Unternehmen bereits ab einer frühen Planungsphase als wesentlicher Partner dazu geholt zu werden.

Si: Herr Haugeneder, vielen Dank für das Interview.

Dieses Interview ist in der SI 11/2023 erschienen.