Interview mit ZDH-Präsident Wollseifer

Die Internationale Handwerksmesse zeigt die Innovationskraft des Handwerks, sagt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Im Interview erklärt er, was Handwerk in Zukunft ausmacht und inwieweit die Messe die Imagekampagne des Handwerks 2019 unterstützen wird.

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), spricht im Interview mit der Internationalen Handwerksmesse u. a. darüber, welche Aufgabe die Internationale Handwerksmesse dabei hat, Betriebe auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft zu begleiten. – © Boris Trenkel / ZDH

Herr Wollseifer, das Handwerk hat in den vergangenen Jahren eine spannende Entwicklung erlebt. Wo beobachten Sie die größten Veränderungen?

Hans Peter Wollseifer: Mit der steigenden Komplexität von Technik und digitalen Anwendungsmöglichkeiten in vielen Bereichen des Lebens wandelt sich auch das Handwerk. Es spiegelt heute die veränderte Lebenswelt der Kunden wider. Handwerker bringen neue Technologien, digitale Anwendungen und neue Materialien zum Einsatz. Der allgemeine Grad der Vernetzung nimmt zu. Komplexe Bauprojekte etwa lassen sich heute bis ins letzte Detail auf mehreren virtuellen Ebenen und von verschiedenen Schnittstellen aus digital nachvollziehen. Technische Hilfsmittel erleichtern körperliche Arbeit. Handwerker haben nicht nur die Kniffe für die praktische Fertigung drauf, sondern strukturieren mit Hilfe moderner, häufig digitaler Technologie Prozesse, die effizient ineinandergreifen. Sie profitieren dabei von der Tradition, immer schon für individuelle Kundenanfragen die jeweils besten Lösungen zu entwickeln und dafür auf ihre gereifte Expertise zurückgreifen zu können. Mit diesem Könnerwissen, mit Neugier und Lust an der Problemlösung werden stets neue Wege beschritten und Innovationen hervorgebracht.

Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich durch die Entwicklungen für Handwerksbetriebe?

Wollseifer: Der Einsatz gerade auch digitaler Technologien steigert die Vielfalt und Geschwindigkeit der Produktionsprozesse, zum Teil bringt er ganz neue Geschäftsmodelle hervor. Die Dienstleistung kann so näher am Kunden erbracht und genau auf seine individuellen Bedürfnisse zugeschnitten werden. Heute wird etwa das neue Sideboard online konfiguriert und mit dem Kunden gemeinsam in das virtuelle Wohnzimmer eingepasst. Die Einzelteile werden mit hochtechnischen Präzisionssägen ausgesägt und dann nur noch zusammengesetzt, während das Warensystem bereits den Bestand für die nächsten Sideboards aktualisiert und Komponenten nachbestellt. Je komplexer und techniklastiger die Prozesse werden, desto höher ist der Grad der dafür notwendigen Qualifikation wie der Anforderungen an Qualifizierung. Die Betriebe müssen ihre Mitarbeiter auf dem neuesten Stand der technologischen Entwicklung halten. Die Handwerksorganisation unterstützt das, indem sie Ausbildungsordnungen anpasst und ein vielfältiges Schulungsangebot macht.

Welche Aufgabe hat die Internationale Handwerksmesse dabei, die Betriebe auf dem Weg in eine erfolgreiche Zukunft zu begleiten?

Wollseifer: Sie ist das Schaufenster der Innovationskraft des Handwerks. Sie ist seit Jahren ein wichtiger Impulsgeber für die gesamte Branche. Nach außen und nach innen: Das Messepublikum kann sich von der Modernität des Handwerks überraschen und begeistern lassen, Betriebsinhaber und Mitarbeiter des Handwerks finden über vielfältige Anregungen und neue Lösungsansätze Inspirationen für das eigene Wirken. Handwerk im Jahr 2019 ist innovativer, digitaler, überraschender und vielfältiger, als manche immer noch glauben. Das werden wir auf der Messe zeigen.

Das Leitmotiv der Internationalen Handwerksmesse lautet: „Ist das noch Handwerk? Die Tradition als Basis. Die Zukunft als Vorbild.“ Lassen sich Hightech, Co-Bots und 3D-Drucker tatsächlich mit dem Handwerk vereinen?

Wollseifer: Selbstverständlich. Wir befinden uns mitten im Wandel. Bäckermeister verschicken ihre individuell bedruckten Kekse oder 3D-gedruckten Schokoladenspezialitäten weltweit. Drohnen sind für Dachdecker längst ein gängiges Arbeitsmittel. Kfz-Mechatroniker begreifen das Auto als System. Der Elektroniker plant und installiert smarte Anwendungen und Geräte für Kunden intelligenter Smart Homes. Zukunft entsteht immer aus der Gegenwart. Und in der Gegenwart bringen erfahrene Könner ihr Wissen und ihr Traditionsbewusstsein in einen stetigen Innovationsprozess ein. Gemeinsam mit Junghandwerkern und mit frischen Ideen entwickeln sie neue Lösungen, die auf tradiertem (konventionellen) Wissen und Können basieren.

Bei vielen entspricht das nicht ihrer Vorstellung von Handwerk im klassischen Sinne. Was macht das Handwerk in Zukunft aus?

Wollseifer: Das Handwerk wird smarter, digitaler und vernetzter. Und das Handwerk wird dadurch in der Zukunft sogar noch besser seine seit jeher große Stärke einer individualisierten und engen Beziehung zum Kunden ausspielen. In einer Erfahrungs- und Lebenswelt, in der Kunden immer mehr den Anspruch haben, für verschiedenste individuelle Anliegen rasch eine Lösung zu bekommen, kann das Handwerk mit Hilfe digitaler Mittel Kundenwünsche noch schneller, flexibler und individueller erfüllen. Dabei muss sich das Handwerk keineswegs neu erfinden. Seine Stärke liegt in seiner Fähigkeit, durch die Offenheit für Innovationen Bewährtes mit Neuem bestmöglich zusammenzuführen. Handwerk ist wandlungsfähig und damit in der Lage, aktuell und auf der Höhe der Zeit zu sein.

Die Veränderungen betreffen nicht nur Produktion und Dienstleistungen, sondern auch die Art der Zusammenarbeit in und zwischen Unternehmen. Welche Entwicklungen sind dort zu beobachten?

Wollseifer: Der zunehmende Grad der Vernetzung erleichtert Kommunikationsprozesse in den Teams und zwischen den Kooperationspartnern. In den Betrieben trägt er zu einer modernenUnternehmenskultur bei, in der der Mensch, die Teamarbeit sowie die Themen Flexibilität und persönliche Qualifizierung im Mittelpunkt stehen. Zwischen den Betrieben erleichtert er die Gewerke-übergreifende Zusammenarbeit und ermöglicht so bessere und ganzheitliche Lösungen im Sinne der Kunden.

Mit ihrem Motto lehnt sich die Internationale Handwerksmesse als Leitmesse des Handwerks auch 2019 stark an die Imagekampagne des Handwerks an. Können Sie uns schon verraten, was im Zuge der kommenden Imagekampagne geplant ist?

Wollseifer: Nur so viel: Wir wollen auf der Messe wie auch mit der Kampagne besonders jungen Menschen zeigen, dass Handwerk nicht altbacken ist, sondern Arbeit für die Zukunft ist. Wir sind in allen gesellschaftlichen Bereichen der Zukunft aktiv, sei es bei der Umsetzung der Energiewende, in den Bereichen Smart Home, E-Mobility oder in der Medizintechnik. Handwerkerinnen und Handwerker sind mutig, unkonventionell, probieren Neues aus und interpretieren ihr Handwerk immer wieder neu. Das werden wir auch im Jahr 2019 auf vielfältige Art und Weise über ganz persönliche Geschichten vermitteln. Dabei werden unterschiedliche Aspekte handwerklicher Modernität abgebildet: Das wird vom Unternehmertum, Pioniergeist und von gesellschaftlicher Relevanz über die Arbeit im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung, sowie der Innovationskraft und Technologie bis hin zur Internationalität oder zum Female Empowerment reichen.

Inwiefern hilft die Internationale Handwerksmesse, die Kampagne zum Leben zu erwecken, sie mit Leben zu erfüllen?

Wollseifer: Sie ist gewissermaßen das große Aushängeschild zu den Aktivitäten der Kampagne im Jahr 2019. Das Motto „Ist das noch Handwerk? Die Tradition als Basis. Die Zukunft als Vorbild.“ haben wir ganz bewusst gewählt. Wir wollen überraschen. Wir wollen zeigen: Das Handwerk ist nicht angestaubt. Das, was immer noch an Klischees in vielen Köpfen steckt, ist längst überholt. Handwerk hat Zukunft und Handwerk ist Zukunft. Wichtige Projekte wie die Energiewende, der Breitbandausbau, der Bau neuen und zusätzlichen Wohnraums oder einer guten Verkehrsinfrastruktur sind nur mit dem Handwerk zu realisieren. Das Handwerk ist unabdingbar, um in diesen Zukunftsfeldern überhaupt einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Handwerk ist absolut systemrelevant für die Gesamtwirtschaft in Deutschland. Handwerk hat die Tradition im Rücken und die Zukunft im Blick. Und das wird man sehr anschaulich auf der Messe sehen – sie macht unser Motto erlebbar. Wir wollen mit der Antwort auf die Frage einen kleinen Wow-Effekt erzeugen: „Ja, das ist heute Handwerk!“ Für die jungen Menschen dürften insbesondere die Ausstellungsflächen „Land des Handwerks“, „Innovation gewinnt!“ oder „YoungGeneration“ sehr interessant sein.

Die IHM hat als Leitmesse des Handwerks auch immer politische und gesellschaftliche Bedeutung. Welche Themen greifen Sie bei den Veranstaltungen des ZDH im Rahmen der Messe auf?

Wollseifer: Ein wichtiger Fokus bei der IHM 2019 wird die Europawahl im Mai sein. Diese wird das politische Geschehen auch in Deutschland im kommenden Jahr maßgeblich beeinflussen. In Zeiten zunehmender Globalisierung und damit einhergehender Spannungen müssen wir uns den dringlichen Fragen der Zeit stellen: Wie wollen wir künftig miteinander leben? Welche Werte stehen dabei für uns im Vordergrund, welche sind unveräußerlich? Was ist das ideale Verhältnis aus staatenübergreifender und europäischer Kooperation und nationaler Regulierung? Im Rahmen unserer Vollversammlung werden die vier deutschen Spitzenkandidaten für die Europa-Wahl auf diese Fragen Antworten geben. Beim Münchner Spitzengespräch der Deutschen Wirtschaft wird es traditionsgemäß um die Ausrichtung der deutschen Regierungsarbeit gehen. Dort werden die Wirtschaftsvertreter deutlich machen, was ihre Erwartungen an die für wirtschaftliches Handeln nötigen politischen Weichenstellungen und Bedingungen sind. Eine Fachkonferenz widmet sich zudem dem wichtigen Thema „Frauen im Handwerk“.

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