Potential für Lastmanagement in Ortsnetzen

Wie kann eine autarke Steuerung Stromerzeugung und -verbrauch ideal verteilen, um Photovoltaik, E-Mobilität und Wärmepumpentechnologie optimal in Einklang zu bringen? Die erste Phase des Feldversuchs mit rund 100 Haushalten im städtischen und ländlichen Raum des Forschungsprojektes liefert Daten zu Einsatzmöglichkeiten.

Mit dem FLAIR²-Modul wird lokal erzeugten Strom aus Erneuerbaren möglichst vor Ort verbraucht und Netzkapazitäten optimiert. – © Timian Hopf/LVN

Mit dem weiteren Zubau der Photovoltaik sowie dem gleichzeitigen Ausbau der Elektromobilität und der Wärmepumpentechnologie wächst in den Ortsnetzen das Potenzial für Lastmanagement – die optimierte Verteilung von Last und Erzeugung. Erzeugung und Verbrauch zu überlagern, trägt zu einer besseren Auslastung des bestehenden Stromnetzes bei. Im Forschungsprojekt FLAIR2 untersuchen die vier Partner LEW Verteilnetz, Stromnetz Berlin, die Hochschule München (Institut für Nachhaltige Energiesysteme ISES) und e*Message, wie diese Potenziale mit einer autark arbeitenden Steuerung – dem FLAIR2-Modul – bereits jetzt erschlossen werden können. Dabei besonders: Die Module arbeiten allein auf Basis der Netzspannung netzdienlich. Sie sind auf keine Kommunikation mit einer Netzleitstelle oder anderer Infrastruktur angewiesen. Seit Dezember 2021 läuft ein groß angelegter Feldversuch in rund 100 Haushalten in städtischen und ländlichen Gebieten. Nun liegen die Auswertungen der ersten Feldphase vor.

Datensatz definiert Einsatzmöglichkeiten

Im ersten FLAIR-Projekt 2018 war zunächst die grundsätzliche Funktionalität des Moduls getestet sowie erste Verbrauchsdaten von fünf Haushalten gesammelt worden. In der Feldphase des Nachfolgeprojekts FLAIR² kommt das optimierte Steuerungsmodul nun bei etwa 100 Haushalten zum Einsatz. Die Testhaushalte verteilen sich zu etwa gleichen Teilen auf das städtisch geprägte Berliner Stromnetz sowie auf das eher ländliche LEW-Verteilnetz im Südwesten Bayerns. Dabei sind nicht nur die Art und Anzahl der flexiblen Verbrauchseinrichtungen wie E-Ladesäulen oder Wärmepumpen, sondern auch die Nutzungsgewohnheiten der einzelnen Haushalte relevant. Die Analyse, der in den letzten sechs Monaten im Feldversuch generierten Messdaten, bringt deutliche Unterschiede ans Licht:

Große Unterschiede der aktuellen Netzsituation – selbst im gleichen Straßenzug

Die Messdaten zeigen, dass sich die Netzsituation – also das Verhältnis von Last zu Erzeugung – bereits in einem Straßenzug deutlich unterscheiden kann. Ein dezentrales Lastmanagement wie FLAIR2 kann darauf situationsgerecht, diskriminierungsfrei und ohne Kommunikationsaufwand netzdienlich Einfluss nehmen und dabei vertraglich vereinbarten Freigabe- und Mindestladezeiten berücksichtigen.

Schon jetzt können viele Haushalte effizient gesteuert werden: In vielen Haushalten, so zeigen es die Daten, gibt es unterschiedliche Kombinationen aus Verbrauchs- und Erzeugungsanlagen. Daraus ergeben sich individuelle Lastprofile, mit denen das FLAIR2-Modul umgehen muss. Je nach Art der Lasten beziehungsweise Erzeugungsanlagen im Haushalt und dem Nutzerverhalten variiert der Verbrauch zeitlich als auch in der Höhe stark. Das Lastprofil eines Haushalts mit Speicherheizung beispielsweise weicht deutlich von dem eines mit Wärmepumpe und Photovoltaik-Anlage ab. Beide Haushaltstypen können mit dem FLAIR2-Modul bereits heute unter Einhaltung der bestehenden vertraglichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen netzdienlich gesteuert werden. Aus der Menge von Lastprofilen, die der Feldversuch mit seinen fast 100 teilnehmenden Haushalten liefert, lassen sich wesentliche Szenarien ableiten, in denen eine FLAIR2-Steuerung bestehende Netzkapazitäten optimal auslastet.

Feldversuch mit rund 100 Haushalten: Das FLAIR²-Modul überlagert lokale Stromerzeugung und -verbrauch und optimiert Ortsnetze. – © LVN

Wesentliche Szenarien für die Steuerung

Verbrauch verlagern und Lastspitzen abmildern: Es gibt Tageszeiten mit Energieüberschuss aus erneuerbaren Energien – bei Photovoltaik-Anlagen tendenziell zur Mittagszeit. Die Messdaten aus dem Feldtest zeigen, dass Elektrofahrzeuge parallel zur Wärmepumpe häufig abends geladen werden. Laut Standardlastprofil ist dies der Zeitpunkt der abendlichen Hauptlast. Der Netzbetreiber kann die flexible Last Elektroauto nutzen, um das Laden auf Zeiten mit Energieüberschuss zu verschieben. Damit kann der regional erzeugte Strom von beispielsweise Photovoltaik-Anlagen direkt genutzt werden.

Die Hauptlast am Abend kann nicht vollständig in Tagesperioden mit Energieüberschuss verlagert werden. Bei einer zunehmenden Durchdringung von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen kann das abendliche ungesteuerte Laden durch die Überlagerung zu hohen Lastspitzen führen. Mithilfe der smarten Steuerung reagieren die FLAIR2-Module auf die aktiven Verbraucher und verhindern, dass lokale Netze überlasten.

Flexible Steuerung minimiert Spannungssprünge

Schalten mehrere Verbrauchseinrichtungen in einem Ortsnetz zeitgleich ab – etwa Wärmepumpen oder Speicherheizungen – können kurzfristig deutliche Spannungsänderungen auftreten. Dies liegt an Steuerungseinrichtungen mit festen Sperrzeiten, wie z.B. Zeitschaltuhren. Ist die Durchdringung der Haushalte mit ähnlichen fest gesteuerten Verbrauchern in einem Netzabschnitt hoch, belastet dies die lokale Netzinfrastruktur. FLAIR2 verhindert durch die flexible, der Netzsituation angepassten Steuerung das zeitgleiche Takten von Lasten und mildert somit Spannungssprünge.

Lernender Algorithmus

Die autark arbeitende FLAIR2-Steuerbox analysiert die Situation im lokalen Netz und erstellt individuelle Fahrpläne für die Verbrauchseinrichtungen in einem Haushalt. Je mehr Messdaten im Jahresverlauf des Feldversuchs gesammelt und analysiert werden, desto mehr lernt der Algorithmus dazu. In der Folge können flexible Verbrauchseinrichtungen effizienter und zielgerichteter gesperrt werden. Der Algorithmus ist so programmiert, dass er die jeweils vertraglich vereinbarten Freigabe- und Mindestladezeiten einhält.

Nach einem halben Jahr Datenerhebung ist das FLAIR²-Modul und der aktuelle Feldversuch in die nächste Projektphase gestartet: die stückweise Aktivierung aller verbauten FLAIR²-Module. Hatte man bisher nur simuliert, wie das Modul in den unterschiedlichen Lastsituationen reagieren würde, werden flexible Lasten in den 100 teilnehmenden Haushalten nun aktiv gesteuert.

Veronika Barta (v.l.) vom Institut für Nachhaltige Energiesysteme (ISES) der Hochschule München und Projektleiterin Sonja Baumgartner von LVN haben erste Ergebnisse von FLAIR² auf einer Konferenz in Porto vorgestellt. – © Sonja Baumgartner/LVN

Rechtlicher Rahmen bereits gegeben

Das FLAIR2-Konzept kann bereits im heute bestehenden rechtlich-regulatorischem Rahmen eingesetzt werden. Die Grundlage für die Umsetzung des dezentralen Lastmanagementkonzepts ist in Deutschland bereits durch §14a EnWG gesetzlich ermöglicht. Damit können Verteilnetzbetreiber regelbare Lasten netzdienlich steuern und im Gegenzug erhalten Kunden reduzierte Netzentgelte. Vor allem bei den Wärmepumpen ist der vergünstige Wärmestromtarif deutschlandweit etabliert. Der FLAIR2-Algorithmus hält sich an diese Rahmenbedingungen, kann bei gesetzlichen Änderungen entsprechend angepasst werden und steuert die Lasten unter dem gegeben Rahmen bestmöglich für das Netz.

Nutzen für Kunden

Neben den Vorteilen für Netzbetreiber bringt das Konzept auch einen Mehrwert für Kunden. Es ermöglicht eine optimierte Nutzung selbst erzeugten Stroms und erfüllt damit einen zentralen Wunsch der Anlagenbetreiber: Den eigenen PV-Strom nutzen, wenn er erzeugt wird. In dem es den Eigenverbrauch optimiert, übernimmt das FLAIR2-Modul damit Grundfunktionen einer Heimautomatisierung. Die Steuerungslösung ist effizient, schnell einsatzbereit und kostengünstig. Eigenschaften die sowohl Kunden als auch Netzbetreibern zugutekommen.

Lastenmanagement für die Energiewende

„Neue Technologien können dazu beitragen, bestehende Infrastrukturen besser auszulasten und zusätzliche Lasten gut ins Netz zu integrieren. Wir wollen ein robustes Stromnetz, das auch bei Störungen klassischer Kommunikationswege – wie zum Beispiel einer Internetverbindung – stabil und funktionstüchtig bleibt“, erläutert Projektleiterin Sonja Baumgartner von LVN. „FLAIR2 bietet hier einen vielversprechenden Ansatz, um die Effizienz einer dezentralen Steuerung mit einer autark arbeitenden Steuerbox als sichere Rückfallebene zu verbinden. Wir können damit gleich mehrere Ziele erreichen: Engpässe vermeiden, Leistungsspitzen abmildern und das System insgesamt unempfindlicher machen. Solche Lösungen nutzen bestehende Netzkapazitäten und können so dazu beitragen, Netzausbau zu verzögern. Sie können ein Baustein des dezentral und regenerativ aufgestellten Energiesystems sein.“

www.lew.de/flair2